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Susanne Kristen
Verbündet
© Pixabay - Bild von Alexas_Fotos
Ich bin verbündet, mit dir, gegen sie, dagegen, immer wieder zu hören wie ein Täter aus dir spricht… oder eine Täterin… Dagegen, dass die Stimme dir sagt, dass du wertlos bist, Abfall, falsch, unwert; dass du es wolltest, dass du genau so bist wie sie und dass du schweigen muss, dass dir niemand glaubt, dass dich niemand erträgt… Aber ich bin verbündet und glaube dir, ich halte dich aus und das, was du erzählst, wenn du es erzählst… und auch, wenn du selbst glaubst, was sie dir eingetrichtert haben.
Ich bin verbündet, mit dir, gegen sie, gegen Bulimie, Anorexie, Adipositas und Binge, gegen Alpträume und Selbstverletzung, gegen Panikattacken, Magen- und Darmprobleme, gegen Herzprobleme und Asthmaanfälle, gegen Migräne und Wirbelsäulenprobleme, gegen Schmerzen ohne körperliche Ursache, gegen Ängste vor allem und jedem, auch vor mir. Verbündet mit dir, dass du Nähe aushältst, die dir mehr Angst macht als alles nur denkbar Schlimme, die dich immer wieder auch vor mir in Panik weglaufen oder erstarren lässt, die dich immer wieder auch mich als Fremde behandeln lässt, kalt und gleichgültig, die dich immer wieder auch in mir einen Feind sehen und angreifen lässt. Dabei bin ich doch derselbe Mensch wie vor 5 Minuten, Ich bin immer noch ich. Ich bin immer noch in der Gegenwart – du nicht. Und du merkst es nicht einmal. Und dann ziehst du dich zurück und gibst auf.
Ich bin verbündet, mit dem verängstigten Kind hinter der panischen Angst, hinter dem wütenden Angriff, hinter dem kalten schnippischen Wegstoßen und dagegen, dass es sich selbst die Schuld gibt.
Ich bin verbündet, obwohl du glaubst, es wäre zuviel für mich zu wissen, was dir angetan wurde und wie du dich heute fühlst. Das halte ich aus – aber anderes gar nicht gut. Es fehlt mir, einfach nur ich sein zu können. Es verletzt mich, dass du mir zutraust, ich stünde auf der Seite der Täter und dächte und handelte wie sie. Es fehlt mir, Stabilität und Verlässlichkeit zu bekommen. Es fehlt mir, genommen zu werden, wie ich bin. Es belastet mich, dass ich so selten die Bestätigung bekomme, dass der eingeschlagene Weg richtig ist, dass es richtig ist, weiter zu hoffen, für dich mit zu hoffen und für dich mit nicht aufzugeben, wenn du nicht mehr hoffst und aufgegeben hast.
Aber ich bin verbündet und kann auch das aushalten, ich hoffe, lange genug, für dich, mit dir und auch für mich und gegen alles, was sie angerichtet haben.
Susanne Kristen, Verbündet, in: Manuela Jung, Susanne Kristen, Petra Berndt (Hrsg) Überlebenskunst. Folgen und Erfolge, Freiburg 2007, S. 200 – 2001. Der Autorin Dank für die Abdruckrechte!
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